Österreich hat gerade einen Wintereinbruch mit intensiven Schneefällen erlebt, was mich an eine Fotografie aus Graz erinnert hat, welche ebenfalls an einem kalten Tag entstanden sein musste. Einem Tag, der die Menschen frieren ließ und aufgrund des Schneematsches für nasse Füße sorgte.
Die Dächer und Laternen sind mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Die Aufnahme zeigt den Hauptplatz und das Rathaus, links verläuft die Herrengasse und im Hintergrund erkennt man die Kirche zum Heiligen Blut (Grazer Stadtpfarrkirche). Das Bild hält einen Moment geschäftigen Treibens fest: Linkerhand ein Automobil, Passanten und ein Hund, die noch rasch vor der Straßenbahn die Straße überqueren. Der Hauptplatz ist mit Marktständen gefüllt und in der Mitte dominiert den Platz das Erzherzog-Johann-Brunnendenkmal (eine überlebensgroße Bronzefigur mit den allegorischen Darstellungen der vier Flüsse Mur, Enns, Drau und Sann).
Am linken Bildrand sieht man einen kleinen Teil eines Geschäftsgebäudes mit der Aufschrift „Reiseartikel“. Vor dem Haus machen die Straßenbahngleise eine leichte Biegung - ein weiterer Hinweis, um die Adresse Sackstraße 2 (Haus Staigeregg) zu bestimmen. Auf älteren Abbildungen ist außerdem zu sehen, dass sich im 1. Stock das Café Nordstern befand.
So eindeutig das Grazer Rathaus identifiziert werden konnte, so schwierig verhält es sich mit der zeitlichen Einordnung, für die mehr Fachliteratur nötig gewesen wäre. Ein paar Hinweise liefert jedoch die Architektur. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Bau eines neuen Rathauses im klassizistischen Stil begonnen, welches mit einer eigens dafür eingeführten Weinsteuer finanziert werden sollte. Das Gebäude fand bei den Grazer:innen jedoch keinen Gefallen und so entschied man sich für eine Erweiterung, wofür mehrere angrenzende Gebäude angekauft wurden. Im Zuge der Arbeiten entstanden die große Rathauskuppel und Ecktürmchen. Der viergeschossige Bau erhielt eine reich verzierte Fassade im späthistoristisch-altdeutschen Stil (Fertigstellung des Haupttrakts 1893).
Was nun bei der zeitlichen Eingrenzung der Fotografie hilft, ist die Tatsache, dass die Fassade 1922 in den oberen beiden Geschoßen vereinfacht, d.h. geglättet wurde. Der Schmuck auf den Dächern wurde reduziert und Statuen in den Wandnischen verschwanden. Am besten kann auf unserem Foto die veränderte Fassade wahrgenommen werden. Somit kann das Bild nicht vor dem Jahr 1922 entstanden sein.
Ein Vergleichsbild von 1898, welches man auf der Seite des Stockfoto-Anbieters Alamy findet, sowie alte Ansichtskarten zeigen außerdem noch andere bzw. weniger Laternen. (Als die Elektrifizierung der Grazer Innenstadt voranschritt, verschwanden die Gaslaternen und ab den 1920er-Jahren wurde es für Fotografen in der Herrengasse möglich, nachts erleuchtete Schaufenster und Leuchtreklamen zu fotografieren.) Die Straßenbahn hat mich leider (noch) nicht weitergebracht. Anhand der Kleidung und der Schachtel, in der die Glasplatte ursprünglich lag (Sigurd-Platten, Richard Jahr, Dresden-A.16), tendiere ich zur Mitte der 30er Jahre.
Die zweite Fotografie führt uns nach Pürgg im steirischen Ennstal. Der Ort liegt auf einem kleinen Plateau und blickt auf den imposanten Grimming. Die Aufnahme zeigt diesen Berg im Hintergrund und im Vordergrund die romanische Pfarrkirche zum heiligen Georg sowie etliche Häuser. Peter Rosegger und Hans Wiesing haben den Ort als „Steirisches Kripperl“ bezeichnet, wodurch er auch heute in der Vorweihnachtszeit ein beliebtes Ausflugsziel darstellt.
Quellen:
https://steiermark.orf.at/v2/tv/stories/2893115/
https://www.ennstalwiki.at/wiki/index.php/P%C3%BCrgg
https://www.graz.at/cms/beitrag/10058666/7773144/Das_Grazer_Rathaus.html
https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Damals_in_der_Steiermark/Ringlinie%20Zweier
https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Damals_in_der_Steiermark/Grazer_ Rath%C3%A4user