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Exklusive Côte d'Azur

 

Die Côte d’Azur wird bereits seit der Renaissance als Station auf der Grand Tour erwähnt – einer langen Reise durch Mitteleuropa, die für junge Adelige (später auch Angehörige des gehobenen Bürgertums) obligatorisch war. Neben der Bildung und dem Kennenlernen von fremden Kulturen, stellte der Erwerb von Sprachkenntnissen und guten Manieren ein wesentliches Ziel dar. Natürlich galt das Knüpfen von Kontakten aller Art als erstrebenswert.

 

Für die britischen Adeligen begann die Grand Tour gewöhnlich an der Kanalküste im Süden Englands. Mit dem Schiff ging es nach Boulogne oder Calais und mit der Postkutsche nach Paris. Von dort setze man die Reise über Lyon in die Provence fort: Ziele waren Marseille oder Nizza. (Für besonders abenteuerlustige gab es eine Route über die Alpen zu den Gletschern am Mont Blanc.) 

 

Handelte es sich bei Cannes, Nizza und Menton im 18. Jh. noch um kleine Orte mit engen, dunklen Gassen, so änderte sich dies rasch mit dem aufkommenden Tourismus. Ein wichtiger Beweggrund für das Reisen an die Côte d’Azur war neben der malerischen Landschaft das milde mediterrane Klima. Man versprach sich die Heilung oder zumindest Linderung von Lungenerkrankungen wie Asthma oder Tuberkulose. So zählte Nizza im 19. Jahrhundert besonders im Winter schon zu einem beliebten Reiseziel von Briten und Russen.

  

Die Besucher brachten mit, was ihnen gefiel: die Engländer ihre Leidenschaft für schone Gärten, die französische Kaiserin Joséphine Bonaparte den ersten Eukalyptusbaum und Kaiser Napoléon III. Kakteen. Außerdem forcierte man die Uferbebauung am Meer. 1849 ließ etwa ein englischer Pfarrer eine Uferpromenade für die in Nizza überwinternden britischen Landsleute anlegen – die berühmte „Promenade des Anglais“. Einen weiteren bedeutenden Boomfaktor für den Tourismus stellte der Ausbau der Eisenbahn dar. So verbrachten um 1890 etwa 22.000 Besucher den Winter in Nizza, 1910 zählte man bereits 150.000 (bei einer Einwohnerzahl von 140.000). 

Foto: Diese Wäscherinnen am Fluss (an der Mündung ins Meer) zeigen das beschwerliche Alltagsleben der damaligen Zeit -

der krasse Gegensatz zu den reichen Reisenden wird deutlich.

 

Die Stadt war inzwischen auch für Sommerfrischler attraktiv geworden. Sandstrände wurden aufgeschüttet (die damaligen Touristen wollten gar nicht unbedingt baden – sie schätzten eher den Blick aufs Mittelmeer) und palastähnliche Hotels, z.B. das Carlton (1911) in Cannes oder das Negresco (1912) in Nizza, wurden eröffnet. Sogar ein Buch erschien, welches traumhafte Landschaften, exzellente Speisen und lockere Sitten versprach.

  

Passend zu den digitalisierten Fotografien (Stereoplatten, 45 x 107mm) soll noch auf zwei weitere Gebäude eingegangen werden: Le Palais de la Jetée und Le Casino Municipal. Beim Palais de la Jetée handelte es sich um einen außergewöhnlich prunkvollen Bau mit einer 20 Meter hohen Kuppel und mehreren Türmen (manche würden ihn auch als kitschig verunglimpfen), der architektonisch einerseits vom Brighton Palace/Pier und andererseits vom Crystal Palace in London inspiriert war. Der Glaspalast wurde auf Stelzen über dem Meer errichtet und sollte die Belle Epoque repräsentieren. 

 

Das Projekt stand jedoch unter keinem guten Stern, denn die Planung, die Finanzierung (das Budget wurde weit überzogen; man ging zwischendurch Konkurs) und die Bauphase waren schwierig. Als man mit der Arbeit begann, war man aber überzeugt, dass es bei den britischen Gästen gut ankommen würde. Und dann passierte vier Tage vor der Eröffnung im April 1883 eine Tragödie: ein verdächtiges Feuer brauch aus und richtete großen Schaden an. Viele glaubten nicht mehr an die Fertigstellung, doch 1891 war es schließlich so weit.

„It was said that at night when it was lit up it was a most incredible sight, seemingly floating out in the sea in the dark. Music could be heard drifting across they bay, operettas, vaudeville and orchestras; the sound of laughter filled the air. The Crystal casino was, as predicted, a huge success with visitors.” (Janine Marsh)

 

Das Palais de la Jetée verzauberte die Besucher mit einem Musikpavillon, Konzertsaal, Theater, Kasino, Spielhallen, Restaurant, Geschäften und natürlich konnte man dort auch den Nachmittagstee einnehmen. Es war ein Ort zum Spazierengehen und Spielen, sowie ein Ort der Geselligkeit und der Unterhaltung. Heute gibt es leider mit Ausnahme von Gemälden, Postkarten und Fotografien kaum mehr Überreste dieses Kunstwerks, denn es überdauerte nur etwa fünf Jahrzehnte.

 

Foto: Palais de la Jetée vom Jardin Albert 1er aus fotografiert mit Statue : Le Monument du Centenaire (Aufschrift vorne: LA VILLE DE NICE À LA FRANCE; oben: RF 1793 – 1893, 1860) Bänke laden zum Verweilen ein und im Hintergrund sieht man Palmen.

 

Aufgrund der Schwierigkeiten während des Baus des Palais de la Jetée beschloss die Stadt Nizza, ein eigenes Kasino – Le Casino Municipal – zu bauen. (Es wurde auch Casino Lazard nach dem Initiator und Architekten, Omer Lazard, genannt.) Auch dieses Vorhaben verursachte sehr hohe Kosten und sollte unbedingt vor dem Palais fertiggestellt werden (weswegen es der damalige Bürgermeister mit Genehmigungen für das Konkurrenzprojekt nicht eilig hatte). Anfang 1884 wurden alle Arbeiten abgeschlossen und das Kasino überstrahlte nun den Place Masséna. Gespielt wurde ursprünglich im Obergeschoß (in den Salons des Grand Cercle). Im Erdgeschoss befanden sich Ballsäle und es fanden wichtige Bankette statt, aber auch Konzerte und Shows wurden veranstaltet.

 

 

Von Nizza aus lässt sich das Umland sehr gut erkunden. Ein lohnendes Ziel war die „Parfüm-Stadt“ Grasse. Auf der ersten Abbildung erkennt man die Kathedrale Notre-Dame-du-Puy. Ebenfalls in Grasse standen diese Hotels im Quartier du Rioublanquet. Die Aufnahmen stammen vom Beginn des 20. Jahrhunderts; die Gruppe der Landschaftsbilder (unten) wurde im Jahr 1909 aufgenommen (Vermerk auf der Schachtel).

 

 

 

Quellen:

Nizza. Unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Nizza#Geschichte (abgerufen: 13.05.2023)

Jetée-Promenade de Nice. Unter: https://fr.wikipedia.org/wiki/Jet%C3%A9e-Promenade_de_Nice (abgerufen: 12.05.2023)

Marsh, Janine: The Amazing Pier and Crystal Casino of old Nice, France. Unter: https://thegoodlifefrance.com/amazing-pier-crystal-casino-nice-france/

Heidenreich, Bärbel: Anfänge des Tourismus an der Côte d’Azur. Unter: https://www.planet-wissen.de/kultur/westeuropa/cote_d_azur/pwieanfaengedestourismus100.html (abgerufen: 04.05.2023)