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Bildbearbeitung - ein neues Phänomen der digitalen Fotografie?

 

Welche Bedeutung kommt dem Glasplattennegativ zu? Es ist Bildträger, Speichermedium und archivarisches Dokument. Es gilt als Primärquelle eines fotografischen Bildes und als Unikat – wobei man mit dieser Behauptung vorsichtig sein sollte, da auch Kopien angefertigt werden konnten, was allerdings selten vorkam.

 

Unterscheiden kann man zwischen Positivretusche, die am gedruckten Bild vorgenommen wird, und Negativretusche, die direkt am Negativ stattfindet. Während Veränderungen am Positiv auch heute noch gut zu erkennen sind, kann man Eingriffe am Negativ auf der später ausgearbeiteten Fotografie schwieriger bzw. kaum nachvollziehen. Daher hat das Negativ einen besonderen Informationswert: es hilft, eine vor langer Zeit getätigte Bildbearbeitung zu identifizieren und nachzuweisen.

 

Wichtig ist dieser Umstand, wenn es um die Frage der Authentizität geht. Lange Zeit herrschte die Meinung vor, eine Fotografie zeige neutral und unfehlbar die reine Wahrheit – doch schon früh wurden Bilder mittels Bildbearbeitung verändert und damit manipuliert. Ein Glasplattennegativ kann somit als Garant für die Echtheit und Unverfälschtheit der Fotografie dienen.

  

Natürlich kommt es bei der Durchführung der Retusche auf den Zweck an. Meist ging es nur darum, kleine Löcher oder Risse in der fotochemischen Schicht abzudecken, also kleine Beschädigungen auszubessern. Man wollte in der Architektur- und Landschaftsfotografie die Bilder optimieren, zum Beispiel den Himmel (siehe Beispielfoto aus der Sammlung KEK). Auch die verschönernde Retusche von Porträts, wie etwa das Entfernen oder Verringern von Falten in Gesichtern war in vielen Studios verbreitet. Gefährlich war hingegen die politisch motivierte Bildmanipulation, bei der man gezielt die Bildaussage veränderte.

 

Von Beginn an wurde die Retusche kritisch gesehen und so verwundert es kaum, dass derartige Eingriffe nicht gerne zugegeben wurden. Ein früher Fotograf, Franz Hanfstaengel, schwächte beispielsweise sein Tun ab, indem er meinte: „[…] das ganze beschränkt sich bei mir [darauf], die kleinen Flecken und Zufälligkeiten auszugleichen.“ Tatsächlich führte er aber umfangreiche Schönheitskorrekturen auf Porträts durch, indem er etwa fülligere Haare schuf. (Heß, 1999)

 

In den folgenden Beispielen (Sammlung KEK) sieht man die Eingriffe deutlich. Die Retusche wirkt wenig professionell.

In den ersten Jahren der Fotografie waren unterschiedliche Bildträger (Papier, Glas) gebräuchlich – das Trägermaterial beeinflusste anschließend die Verfahren und Arbeitsweisen bei der Retusche. Ab den 1850ern arbeitete man vermehrt mit Glasplatten, deren Glas anfangs noch recht dick war. Die Platten mussten vom Fotografen selbst geschnitten und poliert werden. Kurz vor der Aufnahme wurden sie mit der sensiblen Kollodiumschicht begossen. Es war zu dieser Zeit durchaus üblich, die Glasplatten zu reinigen und für neue Aufnahmen wiederzuverwenden.

 

Dann kamen die Trockenplatten auf den Markt. Sie hatten den großen Vorteil, dass sie nicht erst vor Ort präpariert werden mussten, sondern auch im trockenen Zustand lichtempfindlich waren. Man stellte sie schließlich industriell und standardisiert her. Es wurde immer mehr fotografiert und somit auch retuschiert.

 

Doch die glatte Glasoberfläche hatte im Vergleich zu den Papiernegativen einen wesentlichen Nachteil: die zuvor häufig angewendete Bleistift- und Graphitpulverretusche war nun nicht mehr möglich, denn es gab ein Problem mit der Haftung. Die Anbringung einer mattierten Lackschicht wurde notwendig, wollte man weiterhin mit Bleistift und Graphitpulver arbeiten.

 

Ein Negativ zeigt die umgekehrten Tonverhältnisse, d.h. dunkle Bereiche am Negativ sind im positiven Abzug hell. Der Retuscheur musste daher bei seiner Arbeit umdenken, was eine geistige Herausforderung darstellte.

 

Welche Möglichkeiten der Bildbearbeitung gab es? Diese Frage möchte ich anhand einer kleinen Auswahl von Beispielen zeigen, auf die ich im Laufe meiner Tätigkeit gestoßen bin. 

  • Gelb-bräunliches Papier wurde auf den Bildrand oder einen Teil der Bildfläche (z.B. den Himmel/Hintergrund) geklebt. Auch eine rechteckige oder ovale schwarze Papiermaske wurde gerne als Rahmen aufgeklebt.
  • Rote Farbe wurde aufgetragen – entweder nur punktuell, um kleinere Korrekturen vorzunehmen, oder großflächig
  • Abkratzen der Emulsionsschicht an einzelnen Stellen mit Nadeln oder kleinen Messern. Man musste vorsichtig arbeiten, um das Glas nicht zu beschädigen. Diese Kratzer hätte man als Schraffierung am Positivabzug gesehen.
  • Mit schwarzer Tinte wurden z.B. Augen nachgezogen, um ihnen mehr Schärfe zu verleihen.

Besonders interessant ist die Tatsache, dass man die Glasplattennegative auch duplizieren, d.h. kopieren konnte (Nachteil: mit hohen Kosten und viel Mühe verbunden, wodurch es wohl selten gemacht wurde). Diese Duplikatnegative wurden erstellt, um den Erhalt des Originalnegativs zu gewährleisten. Dieses blieb in der Folge unbehandelt und hatte eine konservatorische Funktion. Das Duplikat wurde bearbeitet – manchmal machte man sogar einen Probeabzug und besserte am Negativ nach, bis man schließlich den fertigen (perfekten) Abzug vorliegen hatte.

Hinsichtlich des Negativs stellt sich daher die Frage: Hat man tatsächlich das Originalnegativ im Sinne der Uraufnahme oder ein Duplikat vor sich? Bei diesem Bildpaar (Sammlung KEK) weist das linke Foto eine wesentlich höhere Qualität hinsichtlich der Tonwerte auf. Das rechte Bild zeigt Spuren einer Retusche.

 

Äußerst wertvoll und informativ erwies sich für meine Recherche die Dissertation von Dagmar Keultjes, denn sie konnte mir viele lange gesuchte Antworten zu diesem Thema liefern. Gerade die Frage, ob man damals schon Negative vervielfachen konnte, beschäftigte mich und kann nun endlich beantwortet werden.

 

 

Quellen:

KEULTJES, Dagmar (2018). Praktiken und Diskursivierung der fotografischen Retusche von 1839-1900. Dissertation, Universität zu Köln.

HEß, Helmut. Der Kunstverlag Franz Hanfstaengl und die frühe fotografische Kunstreproduktion, München 1999.

LAVÉDRINE, Bertrand. Photographs of the Past. Process and Preservation, Los Angeles 2009 (engl. Übersetzung der französischen Ausgabe von 2007).

KOPSKE, Wilhelm. Die photographische Retouche in ihrem ganzen Umfange, Die zur künstlerischen Retouche nöthigen Wissenschaften, Teil 2, Berlin 1891.