In diesem Beitrag widmen wir uns dem Motorsport in Frankreich und präsentieren Fotografien eines Rennens. „In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts wurde dem
Automobil ein weiterer Aspekt hinzugefügt – dem eines Sportgeräts.“ Kai Klauder
Das erste Automobilrennen, das als Beginn des Motorsports gilt, fand 1894 zwischen Paris und Rouen (126 Kilometer) statt. Es ging allerdings nicht primär um die Geschwindigkeit; weitere Kriterien waren die Qualität der Konstruktion, Sparsamkeit, Bedienungsfreundlichkeit, Komfort und die Sicherheit. Nur so ist es erklärbar, dass nicht der schnellste Fahrer, Graf Albert de Dion, mit einer Durchschnittgeschwindigkeit von 19 km/h und einer Gesamtzeit von 6 Stunden und 48 Minuten gewann, sondern die Wagen von Panhard & Levassor und Peugeot aufgrund der einfacheren Handhabung den Siegerpreis erhielten. Ein Skandal war mit dieser Entscheidung vorprogrammiert.
Die Stadt-zu-Stadt Rennen entwickelten sich schnell zu einer beliebten Wettbewerbsart. Obwohl man künftig einen faireren und anspruchsvolleren Wettbewerb
organisieren wollte, wurde auch ein Jahr später beim Rennen Paris–Bordeaux–Paris der Sieg nicht dem schnellsten Fahrzeug zuerkannt. 22 Fahrzeuge (davon 15 Benzin-, 6 Dampf- und 1 Elektrofahrzeug)
stellten sich der Herausforderung. Es musste eine Distanz von 1178 Kilometern zurückgelegt werden – dies gelang mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 24 km/h in knapp 49 Stunden. Aus dem
Komitee, welches zur Vorbereitung des Rennens gegründet worden war, entstand kurze Zeit später der französische Automobilclub (ACF).
1896 organisierte der Automobile Club de France das Rennen Paris–Marseille–Paris. 32 Automobile nahmen teil und erstmals gab es aus Gründen der Chancengleichheit mehrere Klassen. In zehn Tagesetappen galt es eine Strecke von 1711 Kilometern zurückzulegen. Leider kam es zu einigen schweren Unfällen, z.B. wurde ein Fahrer aus dem Auto geschleudert, als er einem Hund ausweichen wollte. Schließlich erreichten 14 Fahrzeuge das Ziel in Paris und wieder dominierte ein Wagen von Panhard & Levassor.
Der Rennkalender wurde jedes Jahr länger. 1897 wurden einige Rennen mit kürzeren Distanzen veranstaltet. Neu war hingegen die Geschwindigkeitswoche in Nizza – es gab mehrere Wettbewerbe, z.B. das erste Bergrennen zwischen Nizza und La Turbie (steile Streckenabschnitte und scharfe Kurven, 233 km).
Im Jahr 1898 wurden erstmals bei einem Rennen Staatsgrenzen überquert: Paris–Amsterdam–Paris (1430 km). Neu war außerdem der Einsatz von berufsmäßigen Rennfahrern, die in speziell entwickelten Rennwagen fuhren (Schnitt: 43 km/h). In Frankreich fanden auch wieder zahlreiche Stadt-zu-Stadt Rennen statt: Marseille–Nizza, Paris–Bordeaux, Périgueux–Missidan–Périgueux, Bordeaux–Agen, Lille–Calais–Lille, Bordeaux–Biarritz, Lyon-Lagnieu, Saint-Germain–Vernon–Saint-Germain. Namen, die immer wieder vorne in den Siegerlisten aufscheinen sind Fernand Charron und René de Knyff (Panhard & Levassor). Die Durchschnittsgeschwindigkeit stieg kontinuierlich.
1899 organisierte der ACF eine Etappenrundfahrt (Tour de France automobile) durch Frankreich: sieben Etappen und 2.172 km. 1900 fand erstmals der bedeutende Gordon-Bennett-Cup statt, bei dem sich Rennwagen verschiedener Länder messen konnten. Bei all diesen Entwicklungen und Veranstaltungen kam es zwangsläufig auch zu öffentlichen Diskussionen über die Sinnhaftigkeit von Autorennen. Als bei einem Unfall Zuschauer ums Leben kamen, begann man bei der Planung von Rennen endlich auch an die Sicherheit zu denken.
1901 stellte den Höhepunkt des Rennkalenders das Rennen Paris–Berlin statt, bei dem 110 Automobile teilnahmen. Auch das Rennen Paris–Bordeaux wurde wieder ausgetragen. Im Vergleich zu 1898, als der Sieger einen Schnitt von 38 km/h erreichte, lag dieser nun schon bei 85 km/h. Ein neuerlicher tödlicher Unfall, bei dem ein Junge auf die Straße gelaufen und von einem Fahrzeug erfasst worden war, führte zu einem allgemeinen Rennverbot auf öffentlichen Straßen.
Obwohl auch andere Regierungen solche Verbote erließen, wurde 1902 das Rennen Paris–Wien noch genehmigt. Ein Jahr später, beim Rennen Paris–Madrid, verfügten die Mors-Rennwagen bereits über 90 PS und erreichten eine Höchstgeschwindigkeit von ca. 140 km/h! Doch auch bei dieser Veranstaltung gab es wieder Tote und noch mehr Verletzte: die Fahrzeuge wirbelten Staub auf und beeinträchtigten so die Sicht für die nachkommenden Wagen. Außerdem drängten die Zuschauer auf die Straße; zwei Zuschauer und fünf Teilnehmer kamen ums Leben. Diese tragische Bilanz bedeutete das endgültige Aus für die Stadt-zu-Stadt Rennen auf öffentlichen Straßen. (Die französischen Behörden brachen das Rennen ab, die Wagen wurden auf den Zug verladen und so nach Paris zurückgebracht.)
Doch es zeichnete sich eine Lösung ab: Rundstreckenrennen. Einem weiteren Aufschwung des Motorsports stand nichts im Wege. 1906 begann das Zeitalter der Grand-Prix-Rennen. In Le Mans wurde an zwei Tagen ein Grand Prix auf einem Rundkurs ausgetragen: 103 km Länge, 12 Runden.
Das ist der Zeitpunkt, an dem dieser kurze Überblick endet und wir unsere Fotografien präsentieren. Es ist aufgrund fehlender Hinweise nicht möglich, das Rennen zu
identifizieren. Dass es sich aber um ein solches handelt ist durch zwei Bilder zu erkennen: eines zeigt den Startbereich und auf einem weiteren kann man einen Banner mit der Aufschrift ARRIVÉE
(Ziel) erkennen.
Die Fotografie zeigt das geschäftige Treiben vor dem Start. Gießkannen und Wasser auf der Straße weisen darauf hin, dass Kühlwasser eingefüllt wurde. Die Fahrer und Beifahrer nehmen ihre Plätze ein. Die Zuschauer stehen dicht gedrängt am Straßenrand.
Auch entlang der Strecke haben sich Zuschauer eingefunden. Unser Fotograf hat eines der Glasnegative beschriftet: Mr Rochet. Leider fehlt der Vorname, daher können wir an dieser Stelle nur spekulieren.
Passen könnte allerdings ein Édouard Rochet, geboren am 7. Februar 1867 in Lyon (verstorben 78-jährig am 12. April 1945). Er war ein Industrieller, der im
Unternehmen - einer großen Fabrik - mit seinem Vater Fahrräder herstellte. Dann gründete er 1894 mit Theophile Schneider die Firma Rochet-Schneider und produzierte insgesamt 250 Automobile, die
anfangs von Benz, dann von Panhard und schließlich von Mercedes inspiriert waren. Während des Ersten Weltkriegs baute das Unternehmen Lastwagen, danach wieder Autos. Die Autoproduktion wurde 1932
eingestellt. Auf einer alten Fotografie, die wir im Internet gefunden haben, trug Édouard Rochet einen Bart wie auf unserem Bild, was jedoch zur damaligen Zeit durchaus üblich war. In Lyon
gibt es noch heute eine Straße, die nach ihm benannt ist: Rue Édouard Rochet, was auf eine größere Bedeutung seiner Person hinweist.
Ein zweites Unternehmen, Rochet Frères & Cie, mit Sitz in Lyon haben wir ebenfalls gefunden. Es wurde 1898 gegründet und bestand nur wenige Jahre (1901). Es produzierte ebenfalls Automobile, und zwar nur ein einziges Modell. Hinweise auf Personen fanden wir nicht. Schließlich gab es noch die Société Rochet in Paris, die von 1899 bis 1905 Automobile baute. Zwischen diesen Firmen gab es keine Verbindung.
Auf diesem Bild befindet sich eine Kutsche, die von sechs Pferden gezogen wird auf der Rennstrecke. Das wirft die Frage auf: War die Straße nicht gesperrt? Offensichtlich nicht, denn es handelt sich wohl kaum um einen Teilnehmer ;-) Eine solche Situation würde jedoch auch erklären, weshalb es häufig zu Unfällen kam.
Die Fotografien unten zeigen, dass auf den Fahrzeugen bereits die im letzten Beitrag besprochenen Kennzeichen angebracht sind. Das Rennen konnte daher frühestens 1901 stattgefunden haben. Neben den Kennzeichen sind auch die Startnummern deutlich zu erkennen.
Das Bild in der Mitte zeigt, dass eine der Fahrzeuginsassen eine Karte übergibt. Auf dem letzten Foto sieht man dann auch den Banner, auf dem ARRIVÉE (angekommen) steht. Es muss sich also um das Ziel - vielleicht auch bloß um ein Etappenziel - handeln.
Wir freuen uns, dass wir Dank unseres unbekannten Fotografen diesen Renntag dokumentieren können.
Quellen:
Kai Klauder: 125 Jahre Automobil – 1900 bis 1909 Rennen, Reisen – und das beste Auto der Welt. Unter: https://www.auto-motor-und-sport.de/event/125-jahre-automobil-1900-bis-1909-rennen-reisen-und-das-beste-auto-der-welt/ (aufgerufen am 18.09.2021)
Liste von historischen Fahrzeugen im Cité de l’Automobile. Unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_historischen_Fahrzeugen_im_Cit%C3%A9_de_l%E2%80%99Automobile (aufgerufen am 18.09.2021)
Motorsportjahr 1894. Unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Motorsportjahr_1894 (aufgerufen am 11.09.2021) ebenso die Motorsportjahre 1895 – 1905
Raris-Rouen 1894. Unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Paris%E2%80%93Rouen_1894 (aufgerufen am 11.09.2021)
Die Formel 1 im Jahre 1091. Unter: http://www.oteripedia.de/Formel_1_-_1901 (aufgerufen am 11.09.2021)
Grand-Prix-Saison 1906. Unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Grand-Prix-Saison_1906 (aufgerufen am 11.09.2021)
Rue Édouard Rochet. Unter: https://ruesdelyon.net/rue/1423-rue-edouard-rochet.html (aufgerufen am 02.10.2021)
Rochet-Schneider. Unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Rochet-Schneider (aufgerufen am 02.10.2021)