Josef Werndl gründete 1864 in Steyr eine Waffenfabrik und sein Unternehmen entwickelte sich bald zu einem der führenden Industrieunternehmen der alten Monarchie. Nach drei Jahrzehnten wurde die Fertigung von Fahrrädern aufgenommen, die unter der Bezeichnung „Steyr-Waffenräder“ bekannt wurden.
Nach dem Ersten Weltkrieg stand die Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft (OEWG; ab 1926: Steyr-Werke AG) vor großen Herausforderungen. Doch bereits
1916 hatte man den Entschluss gefasst, mit der Produktion von Automobilen zu beginnen und dieser Plan musste nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schnellstmöglich umgesetzt werden, da die
Waffenproduktion in Österreich im Friedensvertrag von St. Germain verboten wurde.
Man wollte in Steyr eigene Wege gehen und alle Bestandteile des Wagens selbst erzeugen (Ausnahme: Reifen und elektrisches Zubehör). Mit Hans Ledwinka sicherte man sich außerdem die Mitarbeit eines anerkannten Auto-Konstrukteurs und so gelang der Umstieg von Waffen auf Automobile: 1920 brachte das Unternehmen als erstes Fahrzeug den Steyr Typ II heraus, der aufgrund seiner Herkunft auch „Waffenauto“ genannt wurde.
Das Besondere an dieser Fotografie ist, dass sie ein Automobil der Marke Steyr in der Stadt Steyr zeigt. Im Hintergrund kann man sogar die Produktionsstätte auf der gegenüberliegenden Seite der Enns erkennen. Das Fahrzeug, ein Tourenwagen, weist neben Holzspeichenrädern auch den typischen Spitzkühler auf, der damals als modern und schnittig galt. Auf den Nabenkappen lässt sich der Steyr-Schriftzug erahnen.
Wir werden versuchen, an dieser Stelle ein aktuelles Foto zum Vergleich zu machen.
Der Steyr Typ II wurde zwischen 1920 und 1924 hergestellt (insgesamt 2150 Stück). Das Automobil hatte einen 6-Zylindermotor, 40 PS, einen Radstand von 3.33m und die Höchstgeschwindigkeit wurde mit 95 km/h angegeben. Es galt als technisch ausgereift, robust und leistungsfähig, denn von Anfang an achtete man auf höchste Qualität, wodurch das Steyr-Emblem bald einen hohen Prestigewert hatte. Das Auto erfreute sich im In- und Ausland großer Beliebtheit. So schrieb Hans Seper:
„Die elegante Linie der neuen Steyr-Automobile mit ihren Spitzkühlern, die das charakteristische Firmenzeichen der Waffenfabrik trugen, wurden im Straßenbild nicht nur Österreichs alsbald außerordentlich populär.“ (S. 296)
Dennoch sollte man nicht vergessen, dass sich damals nur eine kleine, sehr wohlhabende Schicht der Bevölkerung überhaupt ein Automobil leisten konnte.
Ein interessantes Detail, auf das wir bei unserm Besuch des Steyr-PKW-Museums auf der Burg Strechau aufmerksam wurden, war, dass das Fahrgestell aus Holzteilen konstruiert wurde. Der Grund dafür war, dass sich der Autokarosseriebau aus dem Kutschenwagenbau entwickelte.
Die nächsten beiden Fotografien möchten wir präsentieren, weil man das Steyr-Emblem (ein stilisiertes Fadenkreuz) besonders deutlich sehen kann und weil die Bilder im Winter aufgenommen wurden. In einem Tourenwagen war eine Fahrt bei tiefen Temperaturen ein kaltes Vergnügen. Ein wenig Abhilfe schaffte ein dünnes Verdeck.
1924 wurde der Nachfolger, der Steyr Typ V, vorgestellt. Dieses Fahrzeug wurde nur zwei Jahre lang produziert (1850 Stück). Von wenigen konstruktiven Änderungen abgesehen, wurde die Grundkonzeption beibehalten (im Wesentlichen waren sie baugleich). Es folgte 1925 der Steyr Typ VII mit 50 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von immerhin 120 km/h. Der Typ VII hatte eine breitere Spurweite, die auf kurvenreichen Straßen die Fahreigenschaften verbesserte. Insgesamt ist es rein optisch kaum möglich, die Unterschiede zu seinem Vorgänger auf unseren Bildern zu erkennen.
Mitte der 1920er Jahre waren die Steyr-Modelle die meistgekauften österreichischen Automobile. Für die Durchführung von Expeditionen und größeren Abenteuern war das Auto aufgrund seiner soliden Technik und hohen Zuverlässigkeit ebenso gefragt. Und schließlich brachte das bergfreudige Fahrzeug auch so manchen Jäger zum Hochrevier.
Gesellschaftlich änderte sich vor allem für die Frauen einiges: Die Emanzipation schritt unaufhaltsam voran. Immer mehr Frauen machten den Führerschein und waren somit auch hinter dem Lenkrad zu sehen, wie auf der folgenden Aufnahme. Passenderweise wurde eine modisch gekleidete Dame in einem Fahrschulauto abgelichtet. Die Anzahl der Automobilistinnen stieg seither kontinuierlich an.
Haben Sie sich möglicherweise gefragt, ob sich der Lenker nicht auf der falschen Seite befindet? Dazu können wir sagen, dass auch der Steyr Typ VII (wie seine Vorgänger) rechtsgelenkt war, denn in Österreich galt noch die Linksfahrordnung.
Bei dieser Fotografie möchten wir auf die mehrfarbige Lackierung hinweisen. Obwohl es sich um ein SW-Bild handelt, erkennt man dennoch die hell lackierte Seitenleiste entlang der Türen und die dunkleren Kotflügel.
Das Waffenauto wurde bis 1929 hergestellt. (Natürlich wurden in Steyr auch noch andere erfolgreiche Modelle produziert – aber damit befassen wir uns, wenn wir entsprechende Glasnegative dazu zeigen können.)
Bei den offenen Tourenwagen (kein geschlossener Aufbau) auf den Fotografien unserer Sammlung liegen wir vom Fahrzeugtyp und Produktionszeitraum in der ersten Hälfte der 1920er Jahre – allerdings weisen die Automobile zum Teil starke Gebrauchsspuren auf, wodurch die Fotos selbst etwas später gemacht worden sein dürften.
Hinweis in eigener Sache:
Da unser Verein sein 5-jähriges Jubiläum feiert und aufgrund der aktuellen Corona-Situation Veranstaltungen derzeit nicht möglich sind, haben wir einige Fotografien vergrößert (bis 50 x 70 cm) und in der Waidhofnerstraße 54 in Weyer ausgestellt. Darunter sind auch Bilder von Automobilen der Marke Steyr.
Quellen:
Ferdinand Hediger, Hans-Heinrich von Fersen, Michael Sedgwick: Klassische Wagen 1919 – 1939, Hallwag Verlag, Bern und Stuttgart,1988.
Steyr-Daimler-Puch AG (Hg): Steyr 1964 – 100 Jahre Steyr 1864 – 1964. Die Steyr-Daimler-Puch Aktiengesellschaft im Jahre ihres hundertjährigen Bestandes.
Boesch Privatstiftung (Hg): Burg Strechau 150 Jahre Steyr (1864 – 2014) Personenkraftwagen von 1920 – 1941, Wien, 2014.
Hans Seper: Österreichische Automobilgeschichte 1815 bis heute, Verlag Orac, 1986.
Michael Schlenger: Vorkriegs-Klassiker-Rundschau. Unter:
https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/author/michaelschlenger/ (abgerufen am 21.03.2020)
Hubert Schier: Die Steyrer Automobilgeschichte von 1865 – 1945, Verlag Ennsthaler, 2015