Neben der Digitalisierung der Glasplattennegative stellt die anschließende Recherche eine äußerst spannende aber zeitintensive Tätigkeit dar. In den meisten Fällen hat man keinerlei Anhaltspunkte, wo und wann ein Foto aufgenommen wurde. Manchmal ist am Negativ eine Jahreszahl vermerkt und nur wenn man viel Glück hat, gibt es handschriftliche Notizen, die zu entziffern mitunter eine schwierige Angelegenheit darstellen kann. Eine ganze Liste mit Stichworten haben wir bisher nur einmal gefunden.
Daher ist das Motiv selbst umso wichtiger, wenn es darum geht, Hinweise zu finden. Jedes Detail kann nützlich sein – etwa ein Wegweiser oder Straßenschild, der Schriftzug über dem Eingang eines Gasthauses, eine Litfaßsäule und die darauf befindlichen Plakate, und natürlich Brücken, Denkmäler sowie charakteristische Gebäude. All das kann bei der Bestimmung des Aufnahmeortes und einer zeitlichen Einordnung helfen.
Was aber besonders interessante Einblicke bietet, sind Fahrzeuge und so wird man zwangsläufig zum Automobilfan. Nicht nur, dass die Autos von damals wunderschön waren, sie liefern auch wertvolle Informationen.
Wenn man einzelne Bildausschnitte entsprechend vergrößert und die Schärfe gut ist, kann man anhand von Emblemen oder Kühlerfiguren die Automarken bestimmen. Auf dem folgenden Bild (es handelt sich um einen Ausschnitt) kann man zum Beispiel auf dem Kühleremblem die Buchstaben NZ lesen. Der nächste Schritt: im Internet nach einem entsprechenden Logo suchen. Das Ergebnis: BENZ. Im Zuge der weiteren Recherche fanden wir heraus, dass die meisten Benz-Modelle ab 1914 den typischen Spitzkühler hatten. (Er galt damals als schnittig und modern. Er erinnerte angeblich an den Bug von Schnellboten.) Ein Beitrag über die Firmengeschichte verriet weiter, dass die letzten Benz-Automobile im Jahr 1926 entstanden, denn dann folgte der Zusammenschluss mit Daimler. Somit hatten wir einen ziemlich verlässlichen Zeitrahmen für die Entstehung des Wagens. Wahrscheinlich war er beim Fotografieren nicht mehr ganz neu, aber die Mode der Fahrzeuginsassen wies ebenfalls auf die 1920er Jahre hin.
Als sehr entscheidendes Detail erwiesen sich bei Fahrzeugen die Kennzeichentafeln. In Österreich müssen seit 1905 vorne und hinten Kraftfahrzeugkennzeichen angebracht werden. Sie waren damals weiß mit schwarzer Schrift und bestanden aus einer Buchstaben-Ziffern-Kombination. Der Buchstabe stellte die Länderkennung dar. Im Bildausschnitt kann man ein A erkennen – es stand für Wien.
Der Buchstabe B stand für Niederösterreich, C für Oberösterreich, D für Salzburg und so weiter. Als die Zahl der Automobile stetig stieg, wurden an den Buchstaben römische Ziffern angehängt. In unserem Beispiel: B für Niederösterreich, VI (römisch 6) und die 135.
Ein neues Kraftfahrgesetz von 1929, welches 1930 in Kraft trat, brachte folgende Änderung mit sich: der Hintergrund der Kennzeichentafeln wurde schwarz, die Schrift weiß.
Eine weitere Neuerung gab es im April 1938: der Kennbuchstabe A für Wien wurde auf W geändert.
1938 stellt das zeitliche Ende unseres Projekts dar. Ursprünglisch wollten wir uns ausschließlich auf die Zwischenkriegszeit konzentrieren, aber unsere Funde machten uns einen (erfreulichen) Strich durch die Rechnung. Die ältesten Glasplattennegative, die wir momentan besitzen, stammen aus dem Jahr 1902. Wir werden somit unsere Forschung auf diese frühere Zeit ausdehnen.
Quellen:
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Automobil (abgerufen am 04.04.2020)
https://de.wikipedia.org/wiki/Historische_Kfz-Kennzeichen_(%C3%96sterreich) (abgerufen am 04.04.2020)
Schlenger, Michael: Vorkriegs-Klassiker-Rundschau. Unter https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/tag/benz/
Blasi, Walter (2016):Die Verrechtlichung des Autofahrens. Gesetzgebung und Fiskalpolitik am Beginn des Automobilismus in Österreich-Ungarn. SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (1), 73-84. Unter: https://www.bmi.gv.at/104/Wissenschaft_und_Forschung/SIAK-Journal/SIAK-Journal-Ausgaben/Jahrgang_2016/files/Blasi_1_2016.pdf (abgerufen am 05.04.2020)
Blasi, Walter: Die Verrechtlichung des Autofahrens in der Ersten Republik. Gesetzgebung und Fiskal-politik von 1918–1938. SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (4/2017), 80-99 unter: https://www.bmi.gv.at/104/Wissenschaft_und_Forschung/SIAK-Journal/SIAK-Journal-Ausgaben/Jahrgang_2017/files/Blasi_4_2017.pdf (abgerufen am 05.04.2020)