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Armut in der Zwischenkriegszeit

 

In diesem Beitrag sollen die Lebensumstände der ärmeren Bevölkerungsschicht kurz dargestellt werden, bevor ich dann die Fotos und das damit verbundene luxuriöse Leben zeigen werde. Es soll keinesfalls ein falscher Eindruck über diese Zeit entstehen, denn nur wenige besaßen eine Kamera und konnten fotografieren. Abgelichtet wurde, was den Menschen lieb und teuer war, z.B. Autos und Familienmitglieder.

 

Die Not nach dem Ersten Weltkrieg war groß. Die Menschen in den Städten, vor allem in Wien, hatten Schwierigkeiten, sich mit ausreichend Lebensmitteln zu versorgen. Die Zahl der Arbeitslosen war hoch und in dieser wirtschaftlich schweren Zeit waren

viele auf Selbsthilfe angewiesen. Obwohl es wichtige soziale Reformen gab (z.B. staatliche Arbeitslosenunterstützung, Achtstundentag in Fabriken, Einführung von Betriebsräten), so reichten diese nicht.

 

Die Inflation war hoch (das Geld wurde weniger wert) und oft sahen sich Menschen gezwungen, Wertgegenstände gegen Lebensmittel

einzutauschen. Andere wiederum mussten ihren Schmuck versetzen, um die Miete zu bezahlen. In der Diplomarbeit von Monika Kratzer entdeckte ich Informationen über die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Sie ermittelte anhand von Befragungen, was sich die Leute in der Zwischenkriegszeit nicht leisten konnten. Dazu zählten etwa regelmäßiger Fleischgenuss, neue Kleider, Radio und Arztbesuche (man wendete alte Hausmittel an). Die Wohnungskosten waren für das Budget der Familien sehr belastend. Autos besaßen nur Ärzte sowie erfolgreiche Unternehmer.

 

Beispielhaft möchte ich die Geschichte von Herrn Hans, geboren 1922 in Wien, widergeben. Seine Familie lebte in einer Wohnung, die aus einer kleinen Küche mit gemauertem Küchenherd (dem wichtigsten Einrichtungsgegenstand, da er der Zubereitung von warmen Speisen, v.a. Gemüse, und im Winter als Wärmequelle diente) und einem Schlafraum. Strom gab es keinen – zur Beleuchtung wurden Petroleumlampen verwendet. Frisches Wasser holte man von der „Bassena“, einer Wasserstelle am Gang. Auch die Toilette befand sich außerhalb der Wohnung. Der Vater war Schuster, doch konnte er mit diesem Handwerk die Familie nicht ernähren. Es gab nicht genügend Aufträge. Die Leute hatten einfach zu wenig Geld, um sich neue Schuhe anfertigen zu lassen. Die wenigen Auftraggeber musste er um einen Vorschuss bitten, damit er das nötige Material (z.B. Leder) kaufen konnte. Als Hilfsarbeiter am Bau erhielt er ein geringes Zusatzeinkommen. Die Mutter war meist arbeitslos. Im Winter suchte sie am Müllablagerungsplatz nach brauchbaren Koksstücken. Der Vater sammelte im nahen Wienerwald Klaubholz, denn Holz, das am Boden lag (z.B. abgebrochene Äste), durfte man mitnehmen. Am wöchentlich stattfindenden Bauernmarkt suchten Frauen nach weggeworfenem Obst und Gemüse, das noch verwendbar war. Die Menschen legten weite Strecken zu Fuß zurück. Die Straßenbahn war zu teuer. Autos verkehrten nur wenige.

 

Ich habe die Geschichte von Herrn Hans und seiner Familie ausgewählt, weil ich (unabhängig davon) eine Fotografie von einem Schuster digitalisiert habe. Sie zeigt ihn bei der Arbeit, das Werkzeug und den Schuh. Der Schuster raucht Pfeife. Seine Hose ist löchrig. Im Hintergrund sieht man zwei junge Frauen in Sonntagskleidung (Matrosenanzüge und -kleider waren damals üblich) sowie eine Nähmaschine.

Freitags erhielten die Männer ihren Lohn. Sie sollten ihren Frauen das Wirtschaftsgeld bringen. Manche Männer kehrten aber am Weg

nach Hause im Wirtshaus ein. Das Foto zeigt einen spärlich besuchten Gastraum und einen Zeitung lesenden älteren Mann.

 

Im Dezember 1924 kam der Schilling. Die Konjunktur und die Einkommensverhältnisse verbesserten sich in der 2. Hälfte der 1920er Jahre. Aber bereits das Jahr 1929 markierte den Beginn einer katastrophalen Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit stieg wieder rasant an, der Konsum ging zurück. In der Politik kam es zu Veränderungen, eine zunehmende Radikalisierung war zu bemerken.

 

Literatur:

Kratzer, Monika: Armut in der Zwischenkriegszeit. Diplomarbeit, Universität Wien (2008).

https://www.mediathek.at/unterrichtsmaterialien/ernaehrungsgeschichte/

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Zwischenkriegszeit